Perspectivia

Gegenstand

Die hier präsentierte Datensammlung entstand im Rahmen einer Dissertation zu preußischer Judenpolitik zwischen 1763 und 1812Tobias Schenk: Wegbereiter der Emanzipation? Studien zur Judenpolitik des “Aufgeklärten Absolutismus” in Preußen (1763–1812) (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 39), Berlin 2010. und listet in chronologischer Reihenfolge die Namen jener preußischen Juden auf, die zwischen 1769 und 1788 dazu gezwungen wurden, Waren aus der Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin (KPM) zu kaufen und zu exportieren. Vordergründig dokumentiert die Zusammenstellung somit das sogenannte “Judenporzellan” – die wohl schwerste Sonderabgabe, der Juden im friderizianischen Preußen unterworfen waren. Doch bietet die Datensammlung, die in der genannten Dissertation detailliert ausgewertet wird, weitaus mehr. Da jeder einzelne der nahezu 1.400 Einträge mit der Vergabe einer Konzession zu Niederlassung, Hausbesitz oder gewerblicher Betätigung zusammenhängt, eröffnet die Zusammenstellung Perspektiven für eine weiterreichende quantifizierende Analyse preußischer Judenpolitik in der zweiten Hälfte der Regierungszeit Friedrichs des Großen (reg. 1740-1786). Darüber hinaus enthält das Material sozialgeschichtliche und genealogische Informationen zu hunderten jüdischen Familien aus allen Teilen der preußischen Monarchie und erweitert für zahlreiche Regionen den bisherigen Kenntnisstand erheblich.

Historischer Hintergrund

Der Siebenjährige Krieg (1756-1763) und das anschließende Retablissement erhöhten den Finanzbedarf des preußischen Fiskus erheblich. In diesem Zusammenhang sah sich auch die jüdische Minderheit mit einer wachsenden Abgabenlast konfrontiert.Siehe hierzu und zum folgenden detailliert Schenk: Wegbereiter der Emanzipation? (wie Anm. 1). Stärker noch als die Anhebung der regulären Abgaben (vor allem der jährlich zu zahlenden Schutzgelder) wirkte sich die Einführung diverser Sonderabgaben aus, zu denen auch das sogenannte “Judenporzellan” zählte. Die Abgabe basierte auf einem Kabinettsbefehl Friedrichs des Großen vom 21. März 1769, der bestimmte, dass Juden vor der Erteilung von Schutzbriefen, Konzessionen zum Hausbesitz “oder einer sonstigen Beneficirung” Waren der KPM im Wert von 300 bis 500 Rt. kaufen und exportieren sollten. Die Brisanz dieser Abgabe wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass ein Berliner Manufakturarbeiter im gleichen Zeitraum über ein durchschnittliches Jahreseinkommen von rund 150 Rt. verfügte.Horst Krüger: Zur Geschichte der Manufakturen und der Manufakturarbeiter in Preußen. Die mittleren Provinzen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Schriftenreihe des Instituts für Allgemeine Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin, Bd. 3), Berlin (Ost) 1958, 308. War ein jüdischer Hausvater nicht in der Lage, ein Mehrfaches dieser Summe für den zumeist höchst verlustreichen Export des KPM-Porzellans ins Ausland aufzubringen, war auf lange Sicht nicht lediglich ein möglicher Immobilienerwerb ausgeschlossen, sondern auch die Etablierung des Nachwuchses gefährdet, da hierzu ein Schutzbrief benötigt wurde.

Eine Analyse der Verwaltungspraxis unter quantifizierenden Gesichtspunkten macht deutlich, dass sich der Zwangsexport, der erst 1788 unter Friedrich Wilhelm II. aufgehoben wurde, für große Teile der preußischen Judenschaft verheerend auswirkte. Insbesondere abseits der Metropolen Berlin und Königsberg – beispielsweise in Westfalen und Ostfriesland – ist dem “Judenporzellan” eine auch demographisch relevante Bedeutung zuzuschreiben.Tobias Schenk: “… dienen oder fort”? Soziale, rechtliche und demographische Auswirkungen friderizianischer Judenpolitik in Westfalen (1763-1806), in: Westfalen 84 (2006), 27-64; Ders.: Die Juden in den Grafschaften Tecklenburg und Lingen. Zwischen Siebenjährigem Krieg und Ende der preußischen Herrschaft, in: Susanne Freund / Franz-Josef Jakobi / Peter Johanek (Hg.): Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV: Quellen und Forschungen zur jüdischen Geschichte in Westfalen, Bd. 2), Münster 2008, 130-139. Angesichts dieser hier lediglich anzudeutenden Entwicklungen sind an der These, wonach sich die jüdische Rechtsstellung durch den “Aufgeklärten Absolutismus” ungeachtet der antijüdischen Politik des Königs verbessert habe, erhebliche Zweifel anzumelden.Vgl. Tobias Schenk: Der preußische Weg der Judenemanzipation. Zur Judenpolitik des “aufgeklärten Absolutismus”, in: Zeitschrift für Historische Forschung 35 (2008), 449-482. Stattdessen bestand auch im ausgehenden 18. Jahrhundert weiterhin ein enger, bislang jedoch nur unzureichend wahrgenommener Zusammenhang zwischen finanzieller Leistungskraft und rechtlicher Situation jüdischer Familien in Preußen.

Quellenkundliche Anmerkungen

Die wichtigste Grundlage der vorliegenden Statistik bildet die in den Beständen des Generaldirektoriums überlieferte “Nachweisung von denen beneficirten Juden, die Vermöge Allerhöchster Cabinets Ordre de dato Potsdam den 21. Märtz 1769 für beigesetzte Summen hiesiges Porzellän zum Debit außerhalb Königlichen Landen erkaufet und empfangen haben”.GStA PK, II. HA Generaldirektorium, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 19-36. Diese Nachweisung, die KPM-Warenlagerinspektor Carl Jacob Christian Klipfel im April 1787 auf Basis der verlorengegangenen Verkaufsbücher der Manufaktur erstellte, weist für den Zeitraum vom 11. Mai 1769 bis zum 30. März 1787 in chronologischer Reihenfolge 1351 Zwangsexporte durch preußische Juden nach. Für den Zeitraum von April 1787 bis April 1788 sind weitere 26 Exporte (Nr. 1352 bis 1377) durch Tabellen belegt, welche die Registratoren der Provinzialdepartements des Generaldirektoriums im Frühjahr 1788 auf Anordnung von Friedrich Anton von Heinitz als Chef der KPM-Kommission anfertigten und die sich heute im KPM-Archiv befinden.MA, I. Etablierung und Einrichtung der Manufaktur, Nr. 3, Bl. 27-62. Während für den Zeitraum 1787 / 1788 Überlieferungslücken nicht auszuschließen sind, muss Klipfels Liste als ausgesprochen zuverlässig gelten und dürfte angesichts zahlreicher bürokratischer Kontrollmechanismen insbesondere für den Zeitraum zwischen November 1779 und März 1787 nahezu vollständig sein. Der Aufbau der Datensammlung sowie durch den Bearbeiter vorgenommene Ergänzungen werden im Folgenden für jedes Feld erläutert.

Feld A (Laufende Nr.)

Die durchgehende laufende Nummer wurde durch den Bearbeiter ergänzt.

Feld B (Kaufdatum)

Das Kaufdatum folgt den Angaben bei Klipfel bzw. den Registratoren des Generaldirektoriums. Letztere dürften dabei auf die KPM-Quittungen zurückgegriffen haben, die durch den jüdischen Supplikanten im Rahmen des jeweiligen Konzessionsverfahrens beim Generaldirektorium einzureichen waren.

Feld C (Name)

Name des Juden, der in den Verkaufsbüchern der KPM verzeichnet ist bzw. auf den die KPM-Quittung ausgestellt wurde. Dieser muss nicht zwangsläufig mit dem Privilegienempfänger identisch sein (vgl. die Angaben zu den Feldern F und G). Schreibvarianten bei Mehrfachnennung wurden harmonisiert. Fortgelassen wurde durch den Bearbeiter die bei Klipfel nahezu durchgängig begegnende Bezeichnung “Der Jude …”. Lediglich der “Münzjude” und Oberlandesälteste Daniel Itzig (Nr. 0397) sowie die beiden generalprivilegierten Manufakturunternehmer Jacob Marcuse (Nr. 0414) und Levi Moses Levi (Nr. 0423) wurden von Klipfel als “Herr” tituliert. Nach Moses Mendelssohn wird man übrigens vergeblich suchen. Die Legende, wonach der Philosoph dazu gezwungen worden sei, bei der KPM 20 Porzellanaffen zu erwerben, entstand erst im 19. Jahrhundert und entbehrt jeder Grundlage.Siehe hierzu detailliert Tobias Schenk: An den Grenzen der Aufklärung. Friderizianische Judenpolitik im Spiegel von Anekdoten um Moses Mendelssohn, in: Mendelssohn-Studien 16 (2009), 371-396, hier 380-390.

Feld D (Wohnort)

Angaben folgen den beiden Vorlagen. Die Orthographie folgt der heutigen Schreibweise bzw. im Falle der historischen deutschen Ostgebiete der Schreibweise vor 1945.

Feld E (Provinz)

Provinzzugehörigkeit des angegebenen Wohnorts. Diese Kategorie wurde durch den Bearbeiter ergänzt.

Feld F und G (Datum und Art der Konzession)

Beide Angaben sind nicht in Klipfels Liste enthalten, sondern wurden auf Basis von Archivrecherchen ergänzt. Ziel war es, möglichst jedem Porzellankauf ein verliehenes Privileg zuzuordnen, um auf diese Weise grundlegende Entwicklungen auf dem Gebiet der Konzessionsvergabe an Juden sichtbar zu machen. Abgesehen von Schlesien, dessen administrative Sonderstellung innerhalb des friderizianischen Staates sich in großen Überlieferungslücken niederschlägt, konnte dieses Ziel in mehr als 90 % der Fälle erreicht werden. Herangezogen wurden hierbei neben direkt mit dem Porzellanexport in Verbindung stehenden StatistikenVor allem: GStA PK, II. HA Generaldirektorium, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 71, 92-104; MA, I. Etablierung und Einrichtung der Manufaktur, Nr. 3, Bl. 27-62. und vereinzelt überlieferten Sachakten insbesondere die Handakten der Generalfiskale d’AnièresZu Person und Amtsführung siehe Tobias Schenk: Generalfiskal Friedrich Benjamin Loriol de la Grivillière d 'Anières (1736-1803). Anmerkungen zu Vita, Amtsführung und Buchbesitz als Beitrag zur Erforschung preußischer Judenpolitik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Aschkenas 17 (2007), 185-223. und von Hoff.GStA PK, I. HA, Rep. 104 Generalfiskalat, IV C, Nr. 236 a, b und c. Soweit dies der Rahmen eines Dissertationsprojektes zuließ, wurden die Angaben so detailliert wie möglich erfasst, um auf diese Weise auch genealogische Zusammenhänge zwischen verschiedenen Juden darzustellen (vgl. die Erläuterungen zu Feld J).

Zum Verständnis der in Feld G gemachten Angaben erweist sich eine Kenntnis der durch das Generalreglement von 1750Abgedruckt bei Ismar Freund: Die Emanzipation der Juden in Preußen unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes vom 11. März 1812. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte der Juden in Preußen, 2 Bde., Berlin 1912, hier Bd. 2, 22–60. eingeführten jüdischen Rechtstitel als notwendig. Das Reglement führte eine Unterscheidung zwischen ordentlichen und außerordentlichen Schutzjuden (Ordinarii / Extraordinarii) ein. Während ein Inhaber eines ordentlichen Schutzbriefes, der in der Lage war, die erforderlichen Abgaben zu leisten, ein Kind bzw. ab 1763 zwei Kinder etablieren (“ansetzen”) konnte,Zur Entwicklung der Rechtslage zweiter jüdischer Kinder siehe auch Tobias Schenk: Friedrich und die Juden, in: Friedrich300 – eine perspektivische Bestandsaufnahme. galt ein außerordentlicher Schutzbrief lediglich “ad dies vitae” und begründete kein Niederlassungsrecht von Kindern. Neben ordentlichen und außerordentlichen Schutzbriefen sowie Konzessionen zur Ansetzung erster und zweiter Kinder auf einen ordentlichen Schutzbrief (in der Regel des Vaters oder des Schwiegervaters) standen vor allem Konzessionen zum Hausbesitz und Generalprivilegien mit einem Porzellanexport in Verbindung. Feld F nennt jeweils das Datum der Konzession, über die in Feld G nähere Angaben gemacht werden.

Darüber hinaus verdeutlichen die Angaben in den Feldern F und G in Verbindung mit dem in den Feldern H und I nachgewiesenen Kaufpreis, dass die bei der Umsetzung des Exportzwangs angewandte Verwaltungspraxis in zwei Phasen zerfällt. Nach 1769 war das Generaldirektorium aus ökonomischen Motiven relativ rasch von den Tarifen von 300 bzw. 500 Rt. abgewichen, die der bereits erwähnte Befehl des Königs vom 21. März 1769 vorsah. Um nicht zahlreiche jüdische Familien wirtschaftlich zu ruinieren und in der Folge sinkende Schutzgeld- und Akziseeinnahmen hinnehmen zu müssen, senkten die Beamten eigenmächtig die Exporttarife erheblich ab. Der König erfuhr hiervon hingegen erst im Frühjahr 1779. Im Zuge der daraufhin einsetzenden Revision der Konzessionsvergabe an Juden zwischen 1769 und 1779 monierte Generalfiskal d’Anières insgesamt 698 Konzessionen, deren Empfänger nun nachträglich Porzellan im Gesamtwert von mehr als 200 000 Rt. exportieren solltenGStA PK, II. HA Generaldirektorium, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 92-105. – die größte jemals von Juden im Alten Preußen geforderte Abgabe. Die von ihr betroffenen “Porcellainerestanten” sahen sich bald mit zahlreichen obrigkeitlichen Zwangsmaßnahmen konfrontiert, die von Einquartierungen über die Versteigerung von Hausbesitz bis hin zur angedrohten Vertreibung aus dem Lande reichten. Vor dem Hintergrund dieser Drohkulisse, gegen die entgegen anderslautender Einschätzungen in der Literatur ein Rechtsschutz nicht bestand, setzten im September 1779 (Nr. 0392) die Exporte für bereits erteilte Konzessionen ein und machten in den folgenden Jahren einen erheblichen Teil der Gesamtausfuhren aus.

In der Phase von 1779 bis 1788 ist somit zwischen Exporten für neu verliehene Konzessionen und Nachforderungen für zwischen 1769 und 1779 gewährte Privilegien zu differenzieren. Letztere sind in der Spalte Nachforderung gekennzeichnet. Feld G enthält in diesen Fällen darüber hinaus Angaben über die monierte Konzession, auf die sich die Nachforderung bezog, sowie gegebenenfalls Hinweise auf weitere Raten, da zahlreiche Hausväter trotz aller Zwangsmaßnahmen nicht dazu in der Lage waren, den von ihnen geforderten Export mit einem Mal durchzuführen.

Feld H und I (Kaufpreis)

Die Angaben zum Kaufpreis in Reichstalern (Feld H) und Groschen (Feld I) folgen den Vorlagen.

Feld J (Quellen, Literatur, Anmerkungen)

Hier werden (ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit) archivalische Quellen und Sekundärliteratur nachgewiesen. Darüber hinaus finden sich Querverweise auf weitere Porzellanexporte. Neben Hinweisen auf weitere Raten im Falle einer 1779 erhobenen Nachforderung sind dies insbesondere Informationen über Exporte weiterer Familienmitglieder. So wird beispielsweise unter dem Export Joseph Michael Levis, der sich im Januar 1782 in Stargard (Pommern) als zweites Kind auf den Schutzbrief seines Vaters Michael Levi etablierte (Nr. 0779), auf den Export seines älteren Bruders Simson Levi hingewiesen (Nr. 0533). Dieser hatte bereits im März 1780 300 Rt. für einen Porzellankauf aufbringen müssen, nachdem der Generalfiskal seine im September 1779 verliehene Konzession zur Ansetzung als erstes Kind moniert hatte. Derartige, sich summierende Belastungen einzelner Familien verschärften die Brisanz des “Judenporzellans” erheblich – nicht nur sozial, sondern auch rechtlich: Denn ehe ein Porcellainerestant seine Schuld nicht vollständig abgetragen hatte, wurde keinem seiner Familienmitglieder ein Privileg zu Niederlassung und Heirat verliehen. Gerade im agrarisch geprägten Wirtschaftsgefüge jenseits der Metropolen Berlin, Königsberg und Breslau sind zahlreiche Fälle überliefert, in denen eine geplante Heirat hierdurch um Jahre verzögert oder gar gänzlich verhindert wurde.

Ausblick

Eine nähere Analyse des hier vorgelegten MaterialsTobias Schenk: Wegbereiter der Emanzipation? Studien zur Judenpolitik des “Aufgeklärten Absolutismus” in Preußen (1763–1812) (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 39), Berlin 2010. verdeutlicht, dass die populäre These, wonach die preußischen Juden aus der friderizianischen Zeit “auf bemerkenswerte Weise gestärkt”Albert Bruer: Aufstieg und Untergang. Eine Geschichte der Juden in Deutschland (1750-1918), Köln / Weimar / Wien 2006, 73. hervorgegangen seien, nicht haltbar ist, sondern auf einer unzulässigen Verallgemeinerung von Elitenphänomenen beruht, die vornehmlich im Residenzraum Berlin-Potsdam sowie in Königsberg und Breslau zu verorten sind. So wichtig die kulturgeschichtlichen und ökonomischen Grenzüberschreitungen dort wirkender jüdischer Philosophen und ManufakturunternehmerVerwiesen sei lediglich auf die beiden grundlegenden Darstellungen von Steven M. Lowenstein: The Berlin Jewish Community. Enlightenment, Family, and Crisis, 1770-1830 (Studies in Jewish History), Oxford 1994; Shmuel Feiner: Haskala – Jüdische Aufklärung. Geschichte einer kulturellen Revolution (Netiva. Studien des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts, Bd. 8), Hildesheim / Zürich / New York 2007. auch erscheinen mögen: In einer Monarchie, die sich vom Rheinland bis nach Litauen erstreckte und somit eine West-Ost-Ausdehnung von rund 1200 Kilometern aufwies, bedarf die Erforschung jüdischen Lebens zwingend der regionalgeschichtlichen Perspektive. Doch gerade aus diesem Blickwinkel klaffen für weite Teile des altpreußischen Staates gewaltige Forschungslücken. Neuere, bislang jedoch nicht ausreichend rezipierte Studien, wie sie Bernd-Wilhelm Linnemeier für das Fürstentum Minden,Bernd-Wilhelm Linnemeier: Jüdisches Leben im Alten Reich. Stadt und Fürstentum Minden in der Frühen Neuzeit (Studien zur Regionalgeschichte, Bd. 15), Bielefeld 2002. Jan Lokers für die Stadt EmdenJan Lokers: Die Juden in Emden 1530-1806. Eine sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Studie zur Geschichte der Juden in Norddeutschland vom ausgehenden Mittelalter bis zur Emanzipationsgesetzgebung (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands, Bd. 70), Aurich 1990. und Walter Halama für das Fürstentum HalberstadtWalter Halama: Autonomie oder staatliche Kontrolle. Ansiedlung, Heirat und Hausbesitz von Juden im Fürstentum Halberstadt und in der Grafschaft Hohenstein (1650–1800) (Geschichte, Bd. 2), Bochum 2005. vorlegt haben, verdeutlichen, wie tief die restriktive friderizianische Judenpolitik in das jüdische Alltagsleben einschnitt und wie wenig von einer “Verrechtlichung” jüdischer Existenz im gleichen Zeitraum gesprochen werden kann.

Die hier vorgelegten Ergebnisse fügen sich in dieses Bild ein und ergänzen es um Material aus anderen Regionen. Die enge Verbindung zwischen Porzellanexporten und der Vergabe von Privilegien erlaubt es unter anderem, zu Erkenntnissen über quantitative Entwicklungen auf dem Gebiet der Geleitpolitik zwischen 1769 und 1787 zu gelangen. Demnach nahm die Konzessionsvergabe an Juden in der gesamten Monarchie (mit Ausnahme Schlesiens) nach 1779 im Zuge der Verschärfung des Porzellanexportzwangs um rund 30 % ab. Vor allem in den Provinzen gestalteten sich die Einbrüche zum Teil dramatisch:
Grafschaft Mark: − 17 %,
Herzogtum Pommern: − 29 %,
Fürstentum Halberstadt und Grafschaft Hohenstein: − 40 %,
Herzogtum Kleve: − 43 %,
Fürstentum Ostfriesland: − 57 %,
Neumark: − 64 %
und Fürstentum Minden sowie Grafschaften Ravensberg, Tecklenburg und Lingen: − 68 %.
Von “einer gewissen Minderung des [obrigkeitlichen] Drucks”Mordechai Breuer: Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Mordechai Breuer / Michael Graetz: Tradition und Aufklärung (Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1), München 1996, 85-247, hier 147. auf die Juden kann vor diesem Hintergrund nicht im Entferntesten gesprochen werden.

Um jedoch überholte Mythen hinter sich zu lassen und zu einem ausgewogenen Bild jüdischen Lebens zwischen Kleve und Königsberg im 18. Jahrhundert zu gelangen, sind weiterhin erhebliche Forschungsleistungen notwendig. Von einer auch nur annähernd angemessenen Nutzung des in den vergangenen Jahren mit großem Aufwand sachthematisch inventarisierten Archivguts zu jüdischer Geschichte in den neuen Bundesländern und in PolenStefi Jersch Wenzel / Reinhard Rürup (Hrsg.): Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer, 7 Bde., München 1996-2001. kann bislang noch keine Rede sein. Eine wichtige Grundlage weiterer Forschungen stellen serielle Quellen dar, wie sie im Zuge der Bürokratisierung der Judenpolitik im Laufe des 18. Jahrhunderts in wachsendem Maße anfielen. Die Rede ist neben den bereits angesprochenen Handbüchern der Generalfiskale vor allem von Generaljuden- und Häusertabellen. Der Verfasser plant deshalb, derartige Quellen in den folgenden Jahren sukzessive online verfügbar zu machen.