Perspectivia

([o. O. ][Potsdam ]den 20.[ August 1755]

Meine teuerste Schwester.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich noch lange Zeit damit unterhalten, sich Ihre Italienreise in Erinnerung zu bringen. Man versichert mir, dass Sie sehr viel besser aussehen, als bei Ihrer Abreise. Das ist die beste Auswirkung, welche diese Ablenkung hervorbringen konnte. Ich habe eine sehr hohe Meinung von der Schönheit Italiens, von seinem günstigen Klima, von den Denkmälern seiner vergangenen Größe, von seinen neuzeitlichen Gebäuden, vor allem von denen aus der Zeit der Medici. Aber ich gestehe Ihnen gleichzeitig, dass ich die Italiener für große Scharlatane halte, dafür dass sie die Schönheit und den Wert ihrer Gemälde, ihrer Standbilder und unendlich vieler anderer Dinge übertreiben, worunter Ausschussware gemischt ist. Alles ist „uno spavento, una meraviglia“ [ein Staunen, ein Wunder ]– große Worte, die mein Ohr nicht mehr berühren als das Quietschen eines Bratspießes. Die Augen sind die Richter der Malerei, wie es das Ohr bei der Musik ist. Was gefällt, ist schön. Was missfällt, sei es auch so alt wie die Welt, hat überhaupt keinen Wert für mich. Ich wage zu glauben, dass, sähe ich Italien, ich nicht in Allem der Ansicht der Fremdenführerwäre, was mich über die Fruchtlosigkeit meiner Heimat trösten würde. Ansonsten wäre der Vergleich zu erniedrigend für das arme Deutschland. Ich habe mir wohl gedacht, dass Sie schlechte Wege ausstehen müssen, wenn Sie die Alpen überqueren. Doch gibt es keine Möglichkeit, sie zu vermeiden. Ich danke dem Himmel, dass Sie in guter Gesundheit zurück bei sich sind. Aber ich fürchte gleichzeitig, dass Sie der Drang wieder überkommt, nach Rom zurückzukehren. [Und ]geschähe es nur, um ein Konklave und eine Papstwahl zu sehen.
Wir werden hier jetzt unsere üblichen Feldlager Feldlager in Spandau vom 21. bis zum 28. August 1755. beginnen und von dort aus gehe ich nach Schlesien. Dies alles wird unsere Korrespondenz ein wenig unterbrechen. Ich bitte Euch, meine liebe Schwester, allein die Notwendigkeit meiner Beschäftigungen dafür verantwortlich zu machen und überzeugt zu sein, von der vollkommenen Zuneigung, mit welcher ich bin,
meine teuerste Schwester,

Ihr getreuester Bruder und Diener
Friedrich.)