Perspectivia

([o. O. ][Potsdam ]den 12. Oktober 1754

Meine teuerste Schwester. Dieser glückliche Tag hat mir zwei Ihrer lieben Briefe verschafft. Ich nehme an, dass Sie sich gegenwärtig auf dem Weg nach Montpellier befinden. Ich hoffe, dass Sie besseres Wetter haben werden für Ihre Reise, als es hier herrscht. Ohnedies fürchte ich, meine liebe Schwester, um Ihre Durchreise durch Schwaben. [… ]aber ich gestehe Ihnen geradeheraus, dass Ihre Tochter gut daran tun wird, nicht eifersüchtig zu sein. Wenn diese Leidenschaft dem Herzog vergangen ist, wird sich eine weitere ergeben und dann noch eine weitere. Also muss sie sich mit einer Sache abfinden, die sie nicht ändern kann. Und sie soll versuchen, sich lediglich die Freundschaft und das Vertrauen des Herzogs zu bewahren. Sie haben sich zu jung verheiratet. Der Herzog war eher als eifersüchtiger Liebhaber in sie verliebt denn als Ehemann. Er hat sein Feuer plötzlich weggeworfen. Das sind die Folgen des Genusses, der Sättigung, und sogar der Ekel. Er sucht die Veränderung, und es gibt Anzeichen, dass er es weiterhin ebenso machen wird. Vielleicht wird es manchen Augenblick der Besserung Rückkehr geben, aber ein flatterhaftes Herz lässt nicht ab von der Gewohnheit der Unbeständigkeit. [… ]Ich sende Ihnen tausend Wünsche für eine glückliche Reise und versichere Ihnen, meine liebe Schwester, dass mein Herz Ihnen bis Montpellier folgen wird, und sogar bis Marokko, würden Sie bis dorthin vorstoßen, mit der höchsten Wertschätzung und der lebhaftesten Zuneigung bin ich,

meine teuerste Schwester,
Ihr getreuester Bruder und Diener

Friedrich.)