Perspectivia

(Mein teuerster Bruder
[… ]| [… ]Einer meiner Kavaliere, der in Neapel ist, meldet mir, dass man bei Salerno zwei griechische Tempel „Nur erst im Jahre 1755 führte der Zufall einen jungen Mahlerpurschen aus Neapel dahin, der […] von ohngefehr einen Spaziergang nach den Bergen machte, die Pesto umgaben, und daselbst die einsame Wohnung des Landmannes unter den herrlichsten Althertümern erblickete.“ {#418 Neue Bibliothek, 1768, hier: Bd. 6, 2. Stück: 299–313, bes.: 300.} Die Rezension von 1768 über Stichwerke zu den griechischen Tempeln in Paestum (griech. Posidonia), die auf einen vermeintlichen Befehl Karls VII., König von Neapel u. beider Sizilien „aus ihrem Schutte“ zu befreien seien, schreibt die Legende der „Entdeckung“ im 19. Jh. fort wie Thomas {#399 Lutz, 1991: 28–44} detailliert nachzeichnet. {Frühe Äußerungen über Paestum u. seine Tempel in: #404 Koldewey/Puchstein, 1899; #403 Furchheim, 1916 u. #405 Lang, 1950: 48–64.}
Die Spuren griechischer Kultur waren nicht in Vergessenheit geraten. Forschungen im 20. Jh. dokumentieren, dass Paestum bereits weit vor der Mitte des 18. Jhs. bekannt war, u. a. in: {#398 Chiosi [et al.], 1986: 41-45.} Der frz. Architekt Jacques-Germain Soufflot (1713–1780) beschreibt Mitte 1750 während seiner Italienreise (als Begleitung von Abel-François Poisson de Vandières, Marquis de Marigny) seine Eindrücke von Neapel, dem Vesuv und Paestum und hält verwundert fest: «Comment ces précieux monuments des Grecs sont-ils restés inconnus pour la forme et l'entendu à Naples meme qui n'en est qu'à vingt où vingt-cinq lieus par terre?» [„Wie konnten diese kostbaren Denkmäler der Griechen in ihrer überlieferten Form in Neapel unbekannt bleiben, obwohl sie noch nicht einmal zwanzig oder fünfundzwanzig Meilen Landweg entfernt liegen?“] {Zitiert nach: #405 Lang, 1950: 48 u. #406 Mondain-Monval, 1918: 104.} Die drei aufrechtstehenden Tempel: Hera-Tempel I (älterer Hera-Tempel, in früher Forschung gen.: Basilika), ca. Mitte des 6. Jhs., hocharchaisches Bauwerk. Das Heiligtum befindet sich mitten in der Stadt Paestum, Salerno (Provinz in Italien) {Cfr.: #429 Hera-Tempel I [2100038], 2019.} – Hera-Tempel II (Jüngerer Hera-Tempel, auch: Poseidon-Tempel, Zeus-Tempel), Mitte des 5. Jhs. Das Bauwerk steht neben dem archaischen Tempel im städtischen Hera-Heiligtum von Poseidonia. {Cfr.: #430 Hera-Tempel II [2100039], 2019.} – Athena-Tempel (Ceres-Tempel), spätarchaisch: Dieser kleinste der Tempel liegt im Athena-Heiligtum im nördlichen Bereich von Paestum. {Cfr.: #431 Athena-Tempel [2100040], 2019.} {Grundlegend zur Tempel-Architektur: #400 Krauss, 1959; #401 Krauss, 1984; #397 Mertens, 1993; #402 Mertens, 2006.}
entdeckt hat, deren Baukunst halb griechisch, halb ägyptisch sein soll. Man glaubt, sie seien die ältesten von denen, die man in ganz Italien entdeckt hatte. Ich hoffe, dass ich Zeichnungen davon bekommen werde, die ich nicht versäumen werde, Ihnen, mein teurer Bruder, weiterzuleiten. Ich empfehle mich weiterhin Ihrer kostbaren Erinnerung und bin mit aller erdenklichen Hochachtung und Zuneigung,

mein teuerster Bruder,
Ihre ergebenste, gehorsame Schwester und Dienerin
Wilhelmine

[o. O. ]Den 11. Juni 1756.)