 
		 Meine teuerste Schwester.
Ich bin bekümmert, aus Ihrem Brief zu vernehmen, dass Sie bald an den Augen leiden,
            bald an anderen Gebrechlichkeiten. Ich machte mir die Hoffnung, dass die Reise sie
            großenteils zerstreut hätte. Ich bin sehr überrascht, meine liebe Schwester, dass
            Sie Sich drei Tage lang damit gelangweilt haben, mein poetisches Geschwätz zu lesen;
            es tut mir leid um die Zeit, die ich mit diesen Albernheiten verbracht habe. Ich habe
            immer noch einen ganzen Wust davon; aber es ist tatsächlich so schlimm, dass ich es
            nicht über mich bringe, Sie damit zu langweilen. Ich habe viele Gelegenheitsstücke,
            aber sie benötigen viele Korrekturen, bevor sie Ihnen präsentiert werden können. Ich
            werde sehen, was ich in diesem Winter tun kann, um Ihnen einen Gefallen zu tun. Es
            gibt unter anderem ein episches Gedicht, in dem Valori und Darget die Sujets sind;
            aber es ist so schlüpfrig und im Übrigen so schlecht geschmiedet, dass ich nicht den
            Mut habe, es Ihnen zur Prüfung vorzulegen. Es handelt sich hier um das Scherzgedicht «Palladion», das Friedrich II. schon 1749
                  nach dem Muster von Voltaires «Pucelle d´Orléans» geschrieben hatte. {Über die Entstehung,
                  Verbreitung und Publikation dieses Gedichts, siehe: #4 Œuvres Frédéric, 1846-1857,
                  hier: Bd. 11, I-VII [Avertissement de l'Éditeur / Mitteilung des Herausgebers].} Es sind eilig gemachte Stücke, bei denen ich nur an meine Unterhaltung gedacht habe
            und bei denen ich nie ans Publikum gedacht habe. Mein einziger Zweck war es, mich
            für ein paar Augenblicke der Muße zu beschäftigen und nie, mich auf den Parnass zu
            stellen. Ich habe ein klares Urteil über mich selber, und aus dem gleichen Grundfühle
            ich, dass das, was mich durch den Charme der Komposition amüsiert haben mag, diejenigen
            nicht amüsieren wird, die gute Verse kennen, und die sich nicht mit den harten Akzenten
            meiner deutschen [tudesken] {Zu «tudesque» vgl. #161 Brief vom 17. Mai 1755 [Anm. 3 in der dt. Übersetzung].} Muse in französischer Verkleidung anfreunden würden. Es ist fast unmöglich, dass
            ein im Innersten an das Deutsche gewöhnter Deutscher nicht häufige sprachliche Fehler
            macht und gegen den guten Sprachgebrauch verstößt, der in dieser Gegend hier zum größten
            Teil verdorben ist. Einer Poesie, die der Reinheit der Sprache beraubt ist, bleiben
            daher nur noch wenige Merkmale von Vorstellungskraft, die nicht mehr wirken als die
            Figuren einer verbräunten, halb abgeblätterten alten Malerei. Erlauben Sie mir daher,
            meine liebe Schwester, Streichungen und Korrekturen vorzunehmen, so viel ich schaffe,
            damit die Bagatellen, die Sie sich von mir erbitten weniger unförmig sind und sich
            meine Kleinen Ihnen sprachlich geglättet vorstellen. 
Ich bete tausendmal für die gänzliche Wiederherstellung Ihrer Gesundheit und bitte
            Sie, mich mit einer bewährten Zuneigung zu glauben,
         



